50 Jahre Love & Peace
Großartige, handgemachte Musik, leckeres Essen, liebevoller Umgang, entspannte Atmosphäre, großes Miteinander, in dem jeder so sein darf, wie er möchte, ein Herz für Kinder, Schamanen und überhaupt Jeden, der Teil dieser großen, bunten, viertägigen Gemeinschaft werden möchte. Wer einmal auf dem Burg-Herzberg-Festival war, schwärmt für immer vom „Zauber am Berg“.
Text: Nadine Heinzelmann
Farb-Fotos: Christof Krackhardt
Schwarz-Weiß-Fotos: Alfred Trachsel (alias Axel Traxel)
Musik begleitet einen auf Schritt und Tritt: entweder von einer der fünf Hauptbühnen oder von Jemanden, der einfach zu Jammen anfängt, weil alles gerade perfekt passt. Wer gerade nicht zuhört, macht vielleicht Yoga oder diskutiert an einem der politischen Stände die Weltverbesserung. Oder lernt in der legendären Peter Bursch-Gitarrenschule, macht einen Batik-Workshop bei Biene oder chillt einfach in der Sonne. Denn zu seinem 50. Geburtstag 2018 bekommt das Burg-Herzberg-Festival etwas geschenkt, auf das es allzu oft in seiner langen Geschichte verzichten musste: Gutes Wetter und Sommerfeeling!
Wie alles begann:
The Petards (die Knallfrösche) sind Mitte der 60er-Jahre eine der erfolgreichsten Bands in Hessen, vor allem in ihrer Heimat im oberhessischen Schwalmgebiet. Nach einem ersten Familientreffen-Konzert im Herbst 1966 fand im Jahr drauf mit der ersten „Wald-Beat-Show“ wohl das erste Open-Air-Rock-Festival in Deutschland mit immerhin 1500 Besuchern statt.
Für ihr nächstes Fantreffen suchen die Petards nach einem schöneren Ort und fanden ihn in der mittelalterlichen Burgruine Herzberg bei Niederaula. Nachdem das erste Konzert am 01. Mai aufgrund des schlechten Wetters in einen Saal verlegt werden musste, sollte der eigentliche Act am 07. Juli 1968 in Form eines Bandcontests auf der Burg nachgeholt werden: die Geburtsstunde des Burg-Herzberg-Festivals.
Damals trafen zwei Welten aufeinander, die adretten jungen Leute aus der Umgebung, für die die Burg schon immer klassisches Ausflugsziel war. Und die Hippies, die von weiter weg kamen und lange Haare hatten mit Blumen drin.
Inspiriert durch das berühmte „Free Concert“ der Rolling Stones im Hyde Park sowie den Festivals von Woodstock und Altamont planten auch die Petards ihr eigenes „Erstes deutsches Popfestival und Free-Concert“, zu dem sie vom 1.-3. Mai 1970 auf die Burg Herzberg einladen: mit 2000-Mann Zelt und einem Unkostenbeitrag von 5 DM für die ersten zwei Tage. Statt umsonst wird es zum 1. Festival der progressiven deutschen Popgruppen: dem Electric-Rock-Herzberg-Festival
Im Jahr 1971 verlässt Klaus Ebert The Petards, die sich einige Monate später komplett auflösen – und damit auch das Festival erst einmal begraben.
Es dauert zwanzig Jahre, bis Kalle Becker 1991 das Festival wieder auferstehen lässt: er braucht Gigs für eine Band und erinnert sich an das Hippie-Konzert. Und er möchte – wie er jedes Jahr aufs Neue in seinen Festival-Ansprachen betont – eine Gegenkultur schaffen zur kommerziellen Gesellschaft, er richtet sich gegen das Establishment und kann so "seine Art der Anarchi“ wenigstens für ein paar Tage zu realisieren.
1998 wird mit dem 28 Hektar großen Areal am Hof Huhnstadt das heutige Festivalgelände bezogen, nachdem es mit den Verwaltern der Burg und umliegenden Wäldern aufgrund von erheblichen Beschädigungen und Verunreiniugen zu Streitigkeiten kam.
2003 hat sich der Veranstalter Kalle Becker mit allen Beteiligten in Hessen überworfen, von ungezahlten Rechnung und nicht eingehaltenen Verabredungen ist schon seit Jahren die Rede. Kurzerhand zieht Kalle Becker mit dem Festival in den Osten um und lässt sein „Herzberg goes Wilhelmsthal/Eisenach“ in Eckardtshausen stattfinden. Damit sind nicht alle einverstanden und ein Kreis ehemaliger Mitarbeiter und großer Fans wollen das Festival schon 2004 wieder an die Burg zurückholen. In jenem Jahr finden zwei Festivals statt – keines ist besonders erfolgreich. Um die Zukunft des Hippie-Festivals bei der Burg sicherzustellen, bekommt das neue Veranstalter-Team lokale Unterstützung: Anwohner investieren in das Festival und die Stadt steht geschlossen hinter den neuen Betreibern.
Der Durchbruch kommt im Jahr 2005: Dank der Vorarbeit von Kalle Becker und dem Engagement des neuen Festivalteams etabliert sich Burg Herzberg als das größte Deutsche Hippie-Festival, dem in diesem Jahr sogar ein eigener Film gewidmet wird: Jörg Maas produziert für den WDR die Dokumentation: "In the Land of Milk & Honey. Burg Herzberg Festival – Traditional Hippie Convention 2005“.
Inzwischen bringen die Hippies von einst schon ihre Kinder und Kindeskinder mit, Burg Herzberg ist zu einem Familien-Festival geworden mit eigenem Kinderland. Ein buntes Programm mit Lesezelt, Batik- und Yogaworkshops, Stände mit T-Shirts, Schmuck und Platten begleiten das Festival, auch viele politische Akteuere sind hier vertreten. Große Stände oder gar Ketten sucht man vergeblich, es wird Wert gelegt auf ein buntes und vielfältiges Angebot, nachhaltig produziert. Die liebevolle Verpflegung ist legendär, angefangen von den veganen Wagenburgern über Hare-Krishna-Energiekugeln bis hin zu Super-Food. Obwohl sich das Burg Herzberg Open Air zum grössten Treffen von Hippies in der alternativen Szene Europas gemausert hat, bleibt die Atmosphäre immer familiär und freundlich. Selbst der Security-Service kommt aus den eigenen Reihen, der örtliche Schützenverein entsorgt den Müll und die freiwillige Feuerwehr opfert ihren Urlaub fürs Festival. Wie sehr das Team mit seinem Lebenstraum verbunden ist, zeigt sich gerade in diesem Jubiläumsjahr: 9000 handgeschriebene Grußkarten wurden an Festival-Fans verschickt.
Der Traum von Frieden und Freiheit wird an der Burg Herzberg für eine Woche gelebt, alle sind eine große Familie, sogar geheiratet wurde schon hier. Eine Fast-Geburt gab es auch schon, ganz sicher wurden unzählige Kinder hier gezeugt. Die werden dann die Besucher für die nächsten 50 Jahre stellen. Love & Peace!
Zum 50. Geburtstag hat Frank Schäfer ein wunderbares Geschenk gemacht: Sein im Reiffer-Verlag erschienenes Buch "Burg Herzberg Festival - since 1968" erzählt auf 272 Seiten die Geschichte des Festivals mit viel Insider-Wissen, tollen Bildern und ganz viel Herz.
26. - 29. Juli 2018
Infos und Tickets unter: https://burgherzberg-festival.de
Buch: www.verlag-reiffer.de
