Sechster Kreativwirtschaftsbericht

Sechster Kreativwirtschaftsbericht

Design, Architektur, Kunst oder Film formen gewissermaßen die Benutzeroberfläche unserer Gesellschaft. Sie sind eine Art Frontend und schaffen die Schnittstelle zur Industrie und Produktion – dem Backend, wenn man so will. Da liegt es nahe, die Verantwortung einer Branche in den Blick zu nehmen, die nicht nur wirtschaftlich eine immer wichtigere Rolle einnimmt, sondern einen Großteil der gestalteten Welt um uns herum prägt. So wurde die Präsentation des 6. Kreativwirtschaftsberichts mehr als eine reine Zahlenschau, sondern zu einem emotionalen Talk über “Kreativität und Verantwortung” zwischen Wirtschaftsminister Tarek Al-Wazir, der Journalistin Hadija Haruna-Oelker und dem Direktor des MAK Matthias Wagner K.

Der Report

Aber zunächst ein paar nüchterne Fakten und Zahlen und, gähn, eine kleine Begriffsgeschichte der “Kreativwirtschaft”: Vor hundert Jahren gab es diesen schillernden Begriff noch nicht. Es waren die angewandten und freien Künste, so bemerkt Matthias Wagner K, die in den 1920er-Jahren mit Neues Frankfurt alle Bereiche des menschlichen Lebens durchdrangen: vom Wohnungsbau mit Ernst May, serifenloser Typographie bis zur revolutionären Frankfurter Küche als erste Einbauküche. Seit 17 Jahren werden nun unter dem Begriff Kreativwirtschaft elf Teilmärkte betrachtet und so einer doch recht heterogenen Industrie ein neues Selbstverständnis verliehen. Denn diese erzielte 2019 in Hessen einen Rekordumsatz von 14,8 Mrd. Euro und beschäftigte rund 127.000 Menschen. Der Branchenumsatz liegt damit im langfristigen Vergleich rund 23 Prozent höher als im Jahr 2010. Betrachtet man die Kultur- und Kreativwirtschaft bundesweit, erzielte die hessische Branche 2019 einen Anteil am Umsatz von 8,4 Prozent.

Den komplette Bericht – gestaltet von der Wiesbadener Agentur Hesh. Studio – könnt ihr auf der offiziellen Seite der Hessischen Kreativwirtschaft durchblättern bzw. als Printprodukt kostenlos per Mail bestellen (oder wie Tarek Al-Wazir so schön sagte, auf “Totholz”)

 
 

Der Talk

“Ich bin auch ein bisschen stolz”, sagte der grüne Politiker, als er den Bericht in seinen Händen hält. Dass sich die positiven Zahlen nach Corona auch in der Kreativwirtschaft anders werden lesen lassen, ist ihm bewusst. “Aber nicht umsonst heißt die Kreativwirtschaft Kreativwirtschaft, sodass wir vielleicht stärker hinauskommen, als wir hineingekommen sind.” Schon vor Corona ereigneten sich Veränderungen. Früher gab es in Frankfurt große Netzwerkagenturen, aber an ihre Stelle sei etwas anderes getreten, nämlich viel Digitalkompetenz”, so der Minister. Blättert man auf Seite 21 des Berichts, so sticht z.B. auch die Gaming-Industrie mit 4,6 Mrd. Euro hervor – sie ist Spitzenreiter unter den Teilmärkten.

 
Wirtschaftsminister Tarek Al-Wazir in der Villa Metzler, Museum für Angewandte Kunst

Wirtschaftsminister Tarek Al-Wazir in der Villa Metzler, Museum für Angewandte Kunst

 

Verantwortung

Die Frage der Verantwortung zeigt sich an der Debatte, wer das Gedicht “The Hill We Climb” der US-amerikanischen Poetin Amanda Gorman denn übersetzen dürfe. Talk-Gast und Journalistin Hadija Haruna-Oelke war Teil des dreiköpfigen Übersetzer-Teams. “Alle Menschen dürfen alle Menschen übersetzen”, sagt sie, aber die viel interessante Frage sei doch, warum so wenige in der Lage seien, ihre Struktur zu hinterfragen. Was bedeutet ein Diversitätsbewusstsein im Literaturbetrieb, in einem Medienhaus, einer Werbeagentur? Jenes Bewusstsein ist wiederum ein wichtiger Teil im Übersetzungsprozess, fremde Kontexte, Geschichte und Zusammenhänge zu interpretieren.

 
Journalistin und Moderatorin Hadija Haruna-Oelker und Holger Volland von brand eins

Journalistin und Moderatorin Hadija Haruna-Oelker und Holger Volland von brand eins

 

Damit ist die Talk-Runde bereits in der großen Gesellschaftsdebatte #identitätspolititk angekommen, ein Thema, welches polarisiert. Al-Wazir gibt sich gelassen: “Ich bin nicht kulturpessimistisch unterwegs. Ich bin mittlerweile in einem Alter, sodass ich schon eine gewisse Zeit zurückblicken kann. Und wir haben uns als Gesellschaft durchaus weiterentwickelt – und nicht zum Schlechteren, sondern zum Positiven. Als ich 1995 als Landtagsabgeordneter meine erste Rede im Parlament gehalten habe, haben sich alle gewundert, warum da kein Akzent dabei ist.”

Den kompletten Talk mit Wirtschaftsminister Tarek Al-Wazir, Hadija Haruna-Oelker und Matthias Wagner K vom 21. April gibt es auf www.kreativwirtschaft-hessen.de zu sehen.