Texte, die die Welt bedeuten: Präposition

Texte, die die Welt bedeuten: Präposition

2016 gründeten Konstantin Schönfelder und Holm-Uwe Burgemann PRÄPOSITION als literarischen Raum, als einen Ort im Internet, an dem sie nach einer neuen Inszenierung von Text und Sprache suchen. Im diesem Jahr konzipieren, kuratieren und moderieren sie TEXT MATTERS. MATTERS OF TEXT, ein Festival zur Materialität der Sprache im Klingspor Museum Offenbach. Es beschäftigt sich mit der Frage, aus welchem Stoff die Texte der Gegenwart gemacht sind und wie sie sich in unserem Alltag niederschlagen. Dabei sind bekannte Autor:innen wie Marlene Streeruwitz, Uljana Wolf, Joshua Groß, Senthuran Varatharajah oder Ann Cotten aber auch Künstler:innen und Musiker:innen wie Wa22ermann, MIMII, Sophia Eisenhut oder GG VYBE.

Interview: Lucas Muth
Bilder: Noelle Schaub

 
Wenn die etablierten Institutionen auf Autobahnen verlaufen, gehen wir lieber auf Waldwegen.
— Konstantin
 

Wie kam es zu PRÄPOSITION? Wo beginnt eure Geschichte?

Holm: Ich glaube, unsere Arbeit am Text begann recht unüblich. Wir hatten beide in Leipzig Politikwissenschaft und Philosophie studiert. Da ist erst einmal nichts, was auf eine ästhetisch-künstlerische Beschäftigung mit Literatur in ihrem expansiven Sinn hindeutet. Dieses Interesse, diese Leidenschaft lag für uns immer außerhalb der Universität. Aber es gab einen Punkt, an dem wir festgestellt haben, wie sehr wir uns ein gemeinsames Nachdenken über Sprache, wie sehr wir uns eine gemeinsame Schrift wünschen. Konstantin studierte gerade in Washington, ich in Oxford. Und dann starb Roger Willemsen. Und damit eine Form der Intellektualität, die wir bis dahin kaum kannten und seit dem auch nie mehr entdeckt haben. Da ging einer, der eine intellektuelle Hydraulik besaß, der aus dem spezifischen Sachverstand der Menschen Geschichten machte, die berührten. Und das mit einem sprachlichen Eros, einer Liebe zu den Dingen, die uns unheimlich imponierte.

Konstantin: Daneben stand auch der immer bewusster werdende Wunsch, dass wir uns in den bestehenden Institutionen kaum aufgehoben fühlten. Auch im Literaturbetrieb sehen wir uns eher an den Rändern. Wir wollen uns die fremden Ordnungen, die klassischen Ethiken nie ganz zu eigen machen. Wenn die etablierten Institutionen auf Autobahnen verlaufen, gehen wir lieber auf Waldwegen.

Ihr stellt ja die unterschiedlichsten „Kunstprojekte” auf die Beine, das reicht von Installation und Perfomance bis zur Textarbeit im Internet und in Buchform. Wie findet ihr die Ideen zu euren Projekten? Arbeitet ihr die zusammen mit eurem Netzwerk aus? Oder kommt die Grundidee immer von euch und ihr sucht euch dann die Leute, die dazu passen?

Holm: Kultur lässt sich nicht planen, sondern Kultur ereignet sich, wenn es ein aufrichtiges Interesse gibt – an den Menschen wie auch an den Inhalten. Gerade an prekären Orten gelingt die Arbeit dann am besten, wenn mit ihr als Ersatz anderer, nicht leistbarer Anerkennungen das Versprechen einer Freundschaft einhergeht. Und darin besteht letztlich dann auch ihre Haltbarkeit. 

Konstantin: Alexander Kluge beschrieb eine solche Arbeitsweise vielleicht als „tausendfüßlerisch”. Denn der Universität sind wir immer noch verbunden, sammeln aber auch Erfahrung in ersten Dozenturen, nehmen Forschungsstipendien wahr, schreiben an einer Dissertation, schreiben fürs Radio. Und all das gibt uns Stoff und Material, für das wir bei PRÄPOSITION eine eigene künstlerische Form finden wollen, die innerhalb institutioneller Grenzen keinen Platz hätte.

Dieses Jahr steht euer Festival TEXT MATTERS. MATTERS OF TEXT in Offenbach an. Was passiert dort?

Holm: Der Name TEXT MATTERS. MATTERS OF TEXT basiert auf einer Mehrdeutigkeit. Denn einerseits sagen wir, dass Text ungeachtet seiner natürlichen Abstraktheit wichtig ist (text matters), dass der Umgang mit Text für unser Leben einen Unterschied macht, von dem wir jedoch glauben, dass er nur möglich ist, weil Text sich dann eben doch nicht abstrakt im Alltag der Menschen niederschlägt, sondern als eine konkrete Materie (matters of text). Sprache und Schrift kommen von überall her, sagen wir dann. Sie kennen Mittelpunkte und Ränder, sind Akzent und Dominanz, Dialekt und Slang, Migration und Expansion. Wir kennen diesen Text als analogen Bestseller, als marginalisierte Literatur, als Rap einer neuen Avantgarde. Und wir kennen ihn als schnell geschriebenen Kommentar, als unerhörtes Gebet, als die privateste Bitte um Antwort. Und weil Text darin nicht nur der Text auf dem Papier und auch nicht nur der Text in Gestalt von Pixeln ist, gilt es seine Multimedialität, seine komplexe Materialität zu ergründen.

Was erwartet die Besucher:innen konkret?

Konstantin: Jeder Abend hat einen inhaltlichen Schwerpunkt und besteht aus zwei Teilen. Der erste besteht aus einem moderierten Gespräch mit zwei Gästen. Und im Anschluss findet eine Spoken Word-Performance statt, was von einem Rap-Konzert bis zur lyrischen Performance reicht. Da gibt eine große Bandbreite, auch hinsichtlich der Zugänglichkeit. Wir wollen dem Publikum natürlich etwas bieten und damit auch beglaubigen, dass Texte das Leben verändern können.

Holm: Unser Prinzip der Auswahl geht von einer notwendigen Reibung aus. Denn nur so kann ein Gespräch, ein Diskurs ein Abend zum Ereignis werden. Am Abend der Eröffnung, dem 19. Mai, trifft die Schriftstellerin und Dramatikerin Marlene Streeruwitz auf die Lyrikerin, Essayistin und Übersetzerin Uljana Wolf.

Marlene Streeruwitz wird in diesem Jahr 73 Jahre alt und beschrieb den Kanon der Moderne schon als „die Langeweile des Phallus zwischen den Orgasmen“ als Bücher noch vor einem Millionenpublikum im Fernsehen besprochen wurden und die „Banalitäten“ des weiblichen Lebens als nicht lesenswert galten. Das Abendland abschaffen wollte sie schon, als das im deutschen Sprachraum noch ein Fremdwort war. Uljana Wolf, 30 Jahre jünger, bearbeitet Fragen von Migration und Sprachpolitik mit lyrischer Intimität und gehört damit zu den avanciertesten Dichter:innen ihrer Generation. Das lässt sich insbesondere in ihrem Buch „Etymologischer Gossip“ eindrucksvoll nachlesen.

Und dann performt im Anschluss die Berliner Rapperin Wa22ermann, in Offenbach, in einem Museum. Und das mit 100.000 monatlichen Hörer:innen auf Spotify, die unser Ansicht nach beglaubigen, dass sich hier die Dämmerung einer abermals neuen Generation beobachten lässt. Oder wie sie sagen würde: „Irgendwo pocht mein Herz noch / unter ’ner Schicht aus Misstrau’n.“

Dass nicht nur die Eröffnung, sondern jeder der fünf Abende ohne Eintrittsgelder möglich ist, lassen uns hoffen, dass sich diese Unterschiede auch im Publikum, in den Leben der Menschen, die bestenfalls zu Freund:innen werden, sichtbar werden und ein anderes Sprechen über Sprache möglich machen.  

 
Es wäre schön, wenn die etablierten Formen der Präsentation von Literatur in Frage gestellt würden.
— Holm
 

Wenn ihr im September auf die Festivalreihe zurückblickt, wann seid ihr zufrieden und sagt: Wir haben unser Ziel erreicht!

Konstatin: Unser Claim ist, dass Texte Lebensläufe verändern. Ich würde gerne hören wollen, dass manche Besucher:innen im Anschluss sagen: „Darüber habe ich lange nachgedacht, das hat mich nachdenklich gemacht.” Und wenn unsere Veranstaltung diesen Eindruck hinterlässt und so dazu führt, dass jemand etwas genauer hinschaut, etwas aufmerksamer liest, etwas vehementer nachfragt, offener wird in irgendeiner Form für die Welt, dann sind wir dankbar, dazu einen Beitrag geleistet zu haben.

Holm: Und es wäre natürlich auch schön, wenn dieses Publikum, das wir dann finden, ein bleibendes ist. Es wird nämlich auch auf Grundlage dieses Festivals ein neuer Podcast entstehen, der vieles von dem aufnehmen soll, was sich dann hoffentlich ereignet haben wird. Und ich glaube, ob etwas gut ist, lässt sich auch immer dadurch bestimmen, dass man es wiederholen möchte. Und das Schönste wäre ja, würden wir am Ende sagen, dass wir diesen Sommer wiederholen wollen.

Was kann eure Veranstaltungsreihe für ein Impuls sein? Kann sie auch Anregungen setzen, wie man wie man Kulturveranstaltungen anders denken kann?

Konstantin: Ich würde mir wünschen, dass innerhalb der Szene weniger in Gattungen und Kategorien gedacht wird, sondern eher entlang der Überzeugung, dem Prinzip, der Arbeitsweise, der Geste oder dem künstlerischen Anliegen. Ich glaube, das Festival versucht zunächst einmal, keinen Unterschied zwischen einem Roman, einem Gedicht und einer Installation zu machen. Mit dieser Herangehensweise entstehen neue und interessante Dinge. Und ich würde mir wünschen, dass das öfter passiert.
 

Holm: Es wäre schön, wenn die etablierten Formen der Präsentation von Literatur in Frage gestellt würden. Denn alle, die in diesem Kulturbetrieb, dieser Kulturindustrie arbeiten, müssen sich vor Augen führen, dass die Art, wie sie Literatur und Texte präsentieren, auch darüber bestimmt, was die Menschen von dieser Literatur, von diesen Texten halten. Und ich glaube, sie würden davon um einiges mehr halten, wenn die Abbildung und die Präsentation eine andere wäre.

Alle Infos rund um das Festival und zu PRÄPOSITION gibt es hier: Website