ISO 069: SoSo b2b

Hinter den Decks treffen bei Svenja und Selma zwei musikalische Persönlichkeiten aufeinander, die sich zwischen verschiedenen Elektro-Genres bewegen – mal fließend ineinander verwoben, mal bewusst im Kontrast. Als DJs und FLINTA-Kollektiv gestalten sie nicht nur ihre Sets im Dialog, sondern hinterfragen auch Strukturen in der Clubszene. Ob auf dem Acid Bogen im Kater Blau oder beim Closing im Sisyphos: SoSo b2b bedeutet geteilte Euphorie auf der Tanzfläche, ehrliches Handwerk am Mischpult – und ein unverkennbarer Sound aus dem Rhein-Main-Gebiet, der über dessen Grenzen hinaus wirkt.
Fotos: Wilhelm Rinke @wilhelm.obj
Redaktion: Clara Glaus und Joscha Wilhelm
Was passiert, wenn SoSo auf b2b trifft – wie würdet ihr euren Sound beschreiben?
Unser gemeinsamer Sound bewegt sich zwischen Deep House, Elektro, Breakbeat und Minimal – darüber hinaus bringt jede von uns eigene Einflüsse und Vorlieben mit: Svenja hört und liebt elektronische Musik bereits seit den 90er Jahren, als Sets von Sven Väth noch bei HR3 übertragen wurden. Wenngleich sie damals noch nicht live dabei sein konnte, waren diese ersten Einflüsse prägend für ihren heutigen minimalistisch-klaren Stil: Eine klare Linie simpler, energetischer Beats, gerne mit Vocals und dem ein oder anderen Edit.
Selma bringt am liebsten unterschiedlichste Genres als eklektische Mischung zusammen, mal fein verwoben, mal mit klaren Cuts. Dabei treffen auch gerne mal Italo-Disco und Funk, typische 80s-Drums oder 2000er-Pop-Hits auf den sonst klaren und minimalistischen Sound der beiden.
“Auflegen ist einfach Handwerk, es passiert einfach, dass mal was nicht glatt läuft. Ist manchmal aber auch einfach ein witziger Moment, der einen mit der Crowd verbindet. ”
Wie sieht ein typischer musikalischer Dialog bei euch aus? Gibt’s klare Rollen oder läuft’s eher nach Gefühl?
Das hat sich in den vergangenen Jahren immer wieder verändert. Es gab Phasen, in denen war uns eine dezidierte Vorbereitung auf ein Set sehr wichtig. Das heißt, wir haben lange überlegt: Wie wollen wir einsteigen? In welchen Phasen wollen wir welche Energie haben? Beeinflusst wird das vom Ort, an dem wir spielen, der Uhrzeit und wer vor und nach uns spielt. Da wir aber nicht immer Zeit haben uns zu treffen, läuft das dann zum Teil so, dass wir via Messenger und mithilfe von Tracks, die wir uns schicken, ein Set aus der Ferne bauen. Das nimmt manchmal etliche Tage in Anspruch.
Dann gibt es aber auch Phasen, in denen trauen wir uns zu, völlig unvorbereitet auf einen Gig zu fahren. Dann stehen wir manchmal fünf Minuten vorher da und sagen: Womit fangen wir an? Dann schauen wir das Publikum an und treffen eine Entscheidung und dann versuchen wir während des Spielens einen gemeinsamen Flow zu finden. Meistens klappt das auch sehr gut.
Wer von euch hat das bessere Pokerface wenn ein Übergang mal daneben geht?
Svenja: Ich sage Selma. Es gab mal einen Gig, das war bisher unser größter, da haben wir zur Primetime vor 800 Leuten gespielt und ich hatte einen speziellen Übergang geplant, bei dem ich einen Loop setzen musste. Das hat nicht geklappt und es war furchtbar. Ich habe danach Selma die Kopfhörer in die Hand gedrückt und gesagt: „Du musst das Set alleine zu Ende spielen!“ (War natürlich nicht ernst gemeint).
Selma: Ja, da erinnere ich mich auch noch – ich dachte damals einfach: Naja, da müssen wir jetzt zusammen durch! Ich glaube, ich habe ein ganz gutes Pokerface, aber vor allem finde ich: Auflegen ist einfach Handwerk, es passiert einfach, dass mal was nicht glatt läuft. Ist manchmal aber auch einfach ein witziger Moment, der einen mit der Crowd verbindet.
Hat jemand Spießbaden gesagt? Von wegen. Unterwegs mit Tante Kante und Trockener Sekt in der Landeshauptstadt.
Glücksgefühle sind ja bekanntlich am schönsten, wenn sie geteilt werden. Was war bisher euer wildester oder schönster gemeinsamer Gig?
Unsere schönsten Gigs hatten wir bei unseren Closings auf dem Acid Bogen im Kater Blau und im Wintergarten im Sisyphos. Beide Clubs sind alte Hasen in der elektronischen Musikszene Berlins. Wir kennen beide diese Clubs noch aus Zeiten, da war an DJing noch nicht zu denken. Dort vier Stunden lang die Leute musikalisch mit auf eine Reise zu nehmen ist wunderschön!
Was macht für euch den “Magic Moment” auf einer Party aus?
Svenja: Für mich passieren die Magic Moments meistens vormittags, also wenn die Leute gegen 11 oder 12 Uhr schon die ganze Nacht wach waren und es dann wirklich nur noch um die Musik geht. Wenn zum Beispiel im Robert Johnson die Vormittagssonne durch die Fenster scheint und die Leute sich nicht mehr viel von A nach B bewegen, sondern einfach an einem Platz bleiben und tanzen, nicht mehr viel sprechen, alle einfach dem Set zuhören und gemeinsam diesen Moment erleben – das ist es für mich. Das sind transzendente Erfahrungen und wir alle in diesem Raum und diesem Moment wissen das. Es ist wider aller Logik, aller Leistung und Gesundheit – es ist ein Moment des Erlebens, in dem es nur noch darum geht, jetzt gemeinsam dort zu sein und der Musik zuzuhören. Wunderschön.
Selma: Ja, da kann ich mich anschließen – eine Nacht im Club ist an sich wirklich wider aller Logik, aber gerade das ist ja so toll daran. Ich denke mir dann manchmal: Krass, es gibt auch einfach Leute, die haben so etwas nie erlebt. Ich glaube der Mensch hat ein Grundbedürfnis nach Ekstase, die einen finden sie im Fußballstadion, die anderen in der Kirche und wir eben im Club. Für mich, die ich leidenschaftlich gerne tanze, ist der Magic Moment immer, wenn die Tanzfläche sich langsam leert und es endlich mehr Platz zum Tanzen gibt. Dann kann ich mich so richtig festtanzen und hole nochmal alle Energie und mein bestes footwork raus und steppe wirklich kreuz und quer über die Tanzfläche.
“[...] alle einfach dem Set zuhören und gemeinsam diesen Moment erleben – das ist es für mich. Das sind transzendente Erfahrungen und wir alle in diesem Raum und diesem Moment wissen das.”
Ihr spielt über ganz Deutschland verteilt viele Gigs in verschiedenen Städten? Was zeichnet die Szene im Rhein-Main Gebiet eurer Meinung nach aus?
Der Sound! Rhein-Main hat einen eigenen Sound, der sich vom Rest des Landes unterscheidet. Wir haben oft die Erfahrung gemacht, dass wir in Hamburg oder Berlin auf unseren Sound angesprochen werden. Er wird dann als outstanding wahrgenommen und wir antworten darauf immer nur, dass wir eben aus dem Rhein-Main-Gebiet kommen. Es ist eben dieser klare, treibende Groove.
Ich (Svenja) bin der Meinung, dass das vor allem eine Folge des Detroit-Sounds der 90er Jahre und dem Hype rund ums Omen etc. ist.
Ansonsten nehmen wir die Szene hier als sehr aktiv wahr. Es gibt viele kleine Kollektive mit viel Energie und Ideen. Die elektronische Musik wird immer bleiben.
“Als ich neulich eine Veranstaltung kritisiert habe, bei der nur Männer auf dem Line-Up standen, war die Reaktion eines DJs: ‘Dass man sich rechtfertigen muss, wenn keine Mädels auf dem Line-Up stehen [...]’.”
Ihr seid zwei FLINTA-Personen hinter den Decks – leider noch keine Selbstverständlichkeit in einer Szene, die oft männlich dominiert ist. Wie nehmt ihr das wahr – im Club, im Booking, in der eigenen Wahrnehmung? Und was wünscht ihr euch für die Szene von morgen?
Es gab neulich ein sehr passendes Reel dazu, in dem sagt eine Person: „Not everyone is a DJ now. Every white male is one.“ Und das ist eben immer noch die Realität. Weiße Männer dominieren die elektronische Musikszene und wir erfahren immer wieder, dass Männer das weder wahrnehmen noch die Kritik daran verstehen. Wir leisten durch „Club Loyal“ und unermüdliche Diskussionen unseren Teil, um daran etwas zu verändern. Erfreulicherweise gibt es aber bereits viele Clubs und Kollektive, die darauf achten, mit tollen Männern, die das ernst nehmen. Aber es gibt sie eben auch nicht, vor allem in Wiesbaden. Als ich (Svenja) neulich eine Veranstaltung kritisiert habe, bei der nur Männer auf dem Line-Up standen, war die Reaktion eines DJs: „Dass man sich rechtfertigen muss, wenn keine Mädels auf dem Line-Up stehen. […]. Ja und. Es wird halt nach anderen Kriterien ausgesucht. Irre.“. Hier sieht man leider noch gar kein Problembewusstsein, aber steter Tropfen höhlt hoffentlich den Stein.
Was steht als Nächstes an – Releases, Gigs, Projekte?
Wir sind jetzt wieder ready für ein paar Gigs, zuletzt war privat viel los und Selma arbeitet in ihrem zweiten Jahr Vollzeit als Gymnasiallehrkraft. Da muss man mit den Kapazitäten ein bisschen haushalten. Außerdem planen wir eine Ausstellung, das hat aber gar nichts mit Musik zu tun, ist aber ein spannendes Projekt, worauf wir große Lust haben.
Listen: Soundcloud
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