Technoliteratur – Teil 1
 

Christian Arndt ist Kulturwissenschaftler, Journalist und Musikverleger aus Frankfurt. Der Experte auf dem Gebiet Technokultur in Deutschland hat kürzlich das Buch “ELECTRONIC GERMANY” herausgebracht. Er ist damit nicht alleine auf weiter Flur. In den letzten Jahren sind einige hervorragende Bücher über die deutsche Technogeschichte erschienen, beispielsweise “Klang der Familie – Berlin, Techno und die Wende” oder “Lost and Sound: Berlin, Techno und der Easyjetset”. Wie die Titel vermuten lassen, legen diese Werke den Fokus auf die Partyhauptstadt Berlin. Arndt findet einen anderen Ansatz. In “ELECTRONIC GERMANY” verortet er die Anfänge des Technos nicht in Berlin oder etwa Detroit sondern in Frankfurt. Für kurze Zeit war die Mainmetropole die nationale und internationale “Technohauptstadt”. Zusammen mit Stefan Müller alias DJ Eastenders spricht Arndt anknüpfend an sein Buch im gleichnamigen Podcast über bedeutende AkteurInnen, Sounds, Labels und Ereignisse der Techno-Geschichte. Als einer der Speaker des dritten Kreativwirtschaftstags am 10. Mai haben wir ein Interview mit ihm geführt. In Teil 1 gibt er ganz offen und realistisch Einblick in die aktuelle Lage des Techno und der Kreativwirtschaft in Hessen. Nächste Woche könnt ihr dann über seine Arbeit, zukünftige Pläne und seine Meinung zum Thema Podcasting lesen.

Text: Janine Hertel

Foto: czyk (Alexander Branczyk)

 
Christian Arndt (Foto: Helmut Fricke)

Christian Arndt (Foto: Helmut Fricke)

 




Was bedeutet Kreativwirtschaft für Sie?

Ich bevorzuge den Begriff Kultur- und Kreativwirtschaft, und ich würde es auch begrüßen, diesen Begriff generell zu verwenden, weil er den kulturellen Aspekten eine größere Bedeutung beimisst. Ich unterscheide auch zwischen solchen Branchen, die nur oder vorwiegend als „Auftragnehmer“ tätig werden (Architektur, Werbung, Design) von solchen, die auf eigene Initiative und eigenes Risiko Kulturgüter als „Hard- und Software in die Welt setzen: Bildende Künstler, darstellende Kunst, Schriftsteller, Filmemacher und natürlich Musikschaffende. Diejenigen, die für den „Content“ sorgen, der angeblich „King“ ist, haben es in der Kreativwirtschaft leider oft am schwersten und nicht alle profitieren gleichermaßen von der Aufmerksamkeit, die dem Thema „Kreativwirtschaft“ von der Politik entgegengebracht wird. Schriftsteller und Musiker, kleine Labels und Clubbetreiber haben andere Sorgen als beispielsweise eine Werbeagentur oder die Games-Industrie. Deshalb sehe ich den Begriff insgesamt ambivalent, die Unterschiede zwischen den einzelnen Sparten sind doch erheblich. Dem muss die Politik auch im Detail Rechnung tragen.

Wie sehen Sie die Lage der Kreativwirtschaft in Hessen?

Obwohl Frankfurt als größte und wirtschaftskräftigste hessische Stadt bundesweit zu den wichtigsten Playern in vielen Bereichen zählt und weithin sichtbare kulturelle Leuchttürme vorzuweisen hat, ist Kultur- und Kreativwirtschaft in Hessen dezentral und oft kleinteilig. Das ist einerseits gut, weil große regionale Vielfalt herrscht, andererseits schlecht, weil die Außenwirkung zu oft provinziell bleibt. Wenn man dagegen Kreuzberg-Friedrichshain in Berlin ansieht, dann merkt man schon bei einem kurzen Gang durch den Kiez, wie es förmlich vibriert und funkt. Bei uns fehlen schlicht die Räume und die Rahmenbedingungen, die man auch mit halbherziger Förderung nicht mehr zurückgewinnen kann.   

Wie steht es um die heutige Technoszene in Hessen und spezifisch in Frankfurt, welche Entwicklungen sehen Sie?

Siehe oben: Es fehlen die Räume, die Rahmenbedingungen und oft auch der Wille, Dinge jenseits wirtschaftlicher Eigeninteressen gemeinsam anzupacken. Das Tanzhaus West und Robert Johnson sind die letzten wichtigen Clubs im Raum Frankfurt. Weiter draußen in der Region gibt es auch Festivals, die für die Technokultur von Belang sind, wie etwa den "Love Family Park" und „Homerun“, aber auch viele kleinere Events. Stadtnah sieht es aber eher mau aus, weil der urbane Raum zu eng bebaut ist, da bleibt dann nur die Großdisco im Industriegebiet weit außerhalb, die aber kulturell eine ganz andere Funktion hat und mit Technokultur meist wenig zu tun.

Stichwort Gentrifizierung: Damit haben alle größeren Städte zu kämpfen, und es ist ja auch schön, wenn viele Leute Frankfurt und Offenbach attraktiv finden, aber wo sollen denn neue Clubs entstehen, wenn Lärmschutz oder Parkplatz-Verordnung wichtiger sind als Subkultur? Metropole geht anders. Leider. Ein positives Beispiel in dieser Hinsicht ist Leipzig, wo sich die Stadtpolitik aktiv bemüht, Standorte für Technokultur zu sichern. Auch dort verschwinden Clubs, aber die Szene insgesamt ist noch nicht verloren.

Können Sie noch ein paar Worte zum kommenden Kreativwirtschaftstag sagen?

Ich nehme bereits zum dritten Mal teil und finde es natürlich höchst erfreulich, dass diesmal Musik als Thema beim Kreativwirtschaftstag eine zentrale Rolle einnimmt. Nun hoffe ich, dass viele Musikschaffende aus der Region das auch wahrnehmen, zahlreich erscheinen und an den hoffentlich entstehenden Diskussionen teilnehmen werden.


Hier geht es zu Teil 2 des Interviews.

http://www.electronicgermany.com

Dritter Kreativwirtschaftstag
10. Mai 2019, 10 bis 19 Uhr
Frankfurt School of Finance & Management
Adickesallee 32-34 60322 Frankfurt am Main




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